Autoliebe

Majestät haben ein nobles Auto aus bundesdeutscher Erzeugung, ein Schlachtross von edler Farbe und beeindruckender Innenausstattung. Niemand darf mit dem Gerät fahren, außer Majestät selbst, es ist Ihro Bescheidenheit Heiligtum, der ausführbare Beweis der königlichen Finanzkraft. Als dann das Schlachtross neue Hufe braucht, machen sich Majestät im Internet schlau über möglichst günstige Bereifung (die ist ja nicht so ostentativ, im Gegensatz zum Markenzeichen des Rosses, welches würdevoll auf der Motorhaube prangt), und entscheiden sich schließlich für ein Modell aus Korea.

Madame ist skeptisch. Ob Majestät sich da wirklich sicher sind? Die königliche Devise sei ja üblicherweise, Qualität zu bevorzugen - und außerdem erlaubt die königliche pekuniäre Situation ja durchaus, eine Bereifung passend zur Qualität des ganzen Kübels zu kaufen.

Majestät winken ab. Erstens habe Madame keine Ahnung von Autos, und zweitens müssen ja auch in Korea die Autos vernünftig bereift werden, nur weil sie billiger seien, seien Reifen deshalb nicht gleich schlechter. Majestät bereift also sämtliche Karren der königlichen Familie mit den günstigen asiatischen Reifen.

Nun, völlig überraschend zeigen die asiatischen Wundergummi bald Mängel, Risse, Ausbeulungen oder Unwucht. Zudem haben die sie bei Nässe in etwa so viel Haftung wie ein gut gewachster Ski in einer Loipe, bei Kälte sind sie überhaupt unfahrbar. Majestät löst das Problem mit beneidenswerter Simplizität: Hoheit picken ein Zetterl auf das Armaturenbrett des Zweitautos (mit dem dürfen die anderen fahren) mit den Worten "Achtung, bei Nässe ist Fahrverhalten wie auf Eis."

Die Jahre vergehen, Schlachtross kommt in die Jahre, Sicherheit und Schönheit nehmen ab, schließlich dürfen dann auch die Kinder damit fahren, als sie für eine Urlaubsfahrt ein großes Auto brauchen. Zusammenfassung: 1000 km Fahrt haben den Reifen die letzten Reste an Stabilität genommen, bei einem hat sich der Innenteil des asiatischen Wunderprodukts bereits so bedrohlich aus dem Außenteil gebeult, dass eine unfalllose Autofahrt bei gut 130 km/h an ein Wunder grenzt. Scherereien gab's dann trotzdem, weil nach Ankunft im Urlaubsort nicht Entspannung, sondern Reifenwechsel angesagt war.

Kinder fuchsteufelswild und böse auf Majestät, völlig verständlich aus der Sicht des Autors: wieso bringt der Herr Papa den Nachwuchs in Gefahr? Anruf eines Kindes, außer sich vor Wut: was sich Majestät einbilde, solch Billigprodukte zu kaufen, und damit die eigenen Kinder (Stichwort: Dynastieerhalt) in höchste Gefahr zu bringen! Madame wird daraufhin auch wütend, weil sie ja beinahe kinderlos geworden wäre, und das nur wegen eines gierigen Patriarchen.

Um dann die Emotionen in der Familie zu komplettieren, wurde schließlich Majestät wütend. Niemand hätte ahnen können, dass die asiatischen Reifen solch ein Dreck sind, Ausbeulungen oder Risse im Reifen führen ja nicht mit 100%iger Wahrscheinlichkeit zu letalen Reifenplatzern, und überhaupt, wieso die Kinder so heikel auf ihr scheiß Leben sein müssen.

Majestät sind noch lange böse, da gleicht das Hirn ihrer so gern in Wut schwelgenden Durchlacht dem eines Elefanten. Madame erklärt den Kindern: Majestäts Entscheidung wurde in Frage gestellt und das königliche Heiligtum beleidigt, indirekt, das verkrafte Ihro Robustheit nun einmal nicht.

Der Familienstreit konnte dann beigelegt werden, weil sich die Kinder bei Majestät entschuldigt hatten, demütigst. Ihnen war nicht klar, wie emotional die königliche Bindung zu einem Auto sein kann und sie bitten untertänigst um Vergebung, Majestäts Entscheidung kritisiert zu haben.


Aus der königlichen Pathologie:

Verblendung: Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: den eigenen Kindern wird nicht das sicherste, beste, robusteste Auto gegeben, sondern das, was quasi schon ausrangiert ist, dazu noch mit Ausstattung, die die Insassen in Lebensgefahr bringen können. Dass König Narziss die Wut der Kinder nicht begreifen kann, ist dann eventuell auf ein schlechtes Gewissen, oder aber auf konsequentes Ausblenden der Konsequenzen seiner eigenen Entscheidung zurückzuführen - oder darauf, dass ihm das Leben seiner Kinder schlichtweg egal ist. Für welche Version man sich auch entscheiden möchte, es ist zu bedenken: Majestät ist sich selbst der nächste.

Anerkennung: Die (wenig vorhandene) eigene Persönlichkeit wird übermäßig durch Materielles erweitert, das dann von Fremden bewundert werden und daher entsprechend teuer sein muss - sofern es sichtbar ist.

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