Die Königsfrage
Familie, also gesamter Hofstaat samt eigenem Anhang, in der königlichen Residenz. Man spielt ein Quiz. Ein Kind muss beantworten, was denn die Gretchen-Frage sei, und antwortet völlig korrekt.
Majestät sind verwirrt, wir haben die Frage nicht verstanden.
Fragesteller klärt auf, es geht um Faust, ein Stück Goethe, vielleicht möchten Hoheit mehr vertraut sein mit der Frage "Sag, wie hast du's mit der Religion"?
Na selbstverständlich! Das sagt uns extrem viel! Kennen wir, kennen wir!
Na, fein, und eben diese Frage trägt den ehrwürdigen Titel "Gretchenfrage". Weiterer nasaler Einwurf vonseiten Ihrer Hoheit: no schau, da kennen wir dieses Zitat, benutzen es sogar, immer wieder, naja, was heißt, ständig!, und dann wissen wir nicht den Titel. Hoho.
Ein anderes Kind meint dann, wie spaßig, überhaupt sind ja viele Zitate, die man so aus dem Alltag (Badezimmerkalender, Werbeplakate und die Bildungseditionen einiger Klopapierhersteller) kennt, von Faust. Wie unrühmlich, für so ein Gewaltwerk.
Hoheit ganz erstaunt: nau, wirklich? Sind so viele Faustzitate in der Welt unterwegs?
Jaja, Durchlaucht. Man zählt wohl auf, allein, Ihro Gnaden fehlt die
Ehrlichkeit! Es irrt der König, so lang er lebt, der arme Tropf. Doch
nun sind der Worte genug gewechselt.
Ihro Gnaden nämlich sind verzückt bis über alle Maßen. "Schatzi",
wenden sich Ihre apostolische Allwissenheit an Madame, "wie findest du
das, Schatzi?" Hoheit möchten nämlich der festen Überzeugung sein,
dass wir ständig, ununterbrochen, die G-A-N-Z-E Zeit nichts anderes
von uns geben, als eben jene hochgebildeten Zitate! Und ohne, dass wir
es wussten, rezitieren wir damit ununterbrochen Faust! Unsere
Intelligenz ist ja noch viel größer, als wir es vermutet hätten!
Madame nicht verzückt, sondern verwirrt: Wann Majestät bitte zuletzt irgendein Zitat, geschweige denn eins der eben aufgezählten, von sich gegeben hätte? Hoheit kennen die Zitate vielleicht, ja, man hört sie ja eben auch ständig. Stichwort Klopapier. Aber von sich geben? Naja...
Majestät winken verächtlich ab. Geh, du. Was du scho wieder für einen Blödsinn redest. Wir sagen ständig die Zitate! Beweis: Die haben wir nämlich immer von unserem Vater gehört, dem Halbakademiker, der das immer zu seinen Freunden, den Fastgebildeten, gesagt hat. Das haben wir sooft gehört, als wissbegieriger Bub, wir können die alle auswendig. Also Madame gibt da einen Unfug von sich, den Kindern sei versichert: unsere Alltagssprache besteht defacto nur aus Gott-Zitaten.
Goethe, Durchlaucht, der Zitateschreiber hieß Goethe.
Aus der königlichen Pathologie:
Übertreibung und Selbsttäuschung : der König will von sich selbst ein grandioses Bild haben, das er unter vollständiger Verdrehung der Tatsachen und massiver Übertreibung verkauft. Die Botschaft mag man wohl hören, allein, es sollte der Glaube fehlen.