Ein Fingerzeit der Logik

Abendessen am Hofe. An und für sich ist die Stimmung gut, Majestät sind auffällig schweigsam, aber irgendwie doch unruhig, fast zappelig. Dann, Madame hat das Geschirr abgeräumt, lässt Hoheit die illustre Runde wissen: wir haben ein Buch von einem Psychologen (einem berühmten!) gelesen und haben es jetzt schwarz auf weiß bestätigt bekommen: wir hatten eine ganz schreckliche Kindheit. Emotional vernachlässigt, strenger Vater, desinteressierte Mutter, wir können nicht anders, als psychisch krank zu sein. Ganze drei Erlebnisse, nennen wir sie doch A, B und C, aus der Kindheit werden bilderreich geschildert. Sie sind dem Hofstaat hinlänglich bekannt, da Majestät alle paar Jahre festzustellen gedenkt, dass die eigenen Eltern nicht gerade ein Musterbeispiel an familiärer Wärme waren und hierfür dem versammelten Hofstaat Ereignisse A, B und C aufzählt. Nun ist es wieder mal so weit, Majestät erzählen dramatisch von A, B und C, als würde der Hofstaat noch nie davon gehört haben, Hoheit belieben hierbei mehrmals anzudeuten, dass die Untergebenen nun in Mitleid auszubrechen haben. Besagte Untergebene verfallen jetzt zwar nicht in inbrünstiges Mitleid, aber man schweigt zumindest.

Doch dann. Jetzt muss man schon fragen: wieso macht ein Kind das Folgende? Nun, wir können uns jetzt jedenfalls alle kollektiv ans Hirn greifen, weil selbigem die offenbar wenig durchdachte Bemerkung entfährt: naja, so ein Musterbeispiel an eben ausführlichst beschriebener familiärer Hingabe und physischer Zurückhaltung waren Majestät nun aber auch nicht immer.

Halleluja. Es passiert, was passieren muss: Majestät entwickeln einen ausgewachsenen, astreinen Wutanfall, ein Paradeispiel an menschlich ausdrückbarem Zorn. Gezeter, Geschrei, Gefuchtel. So eine Beleidigung! Ob dem permanent versagenden Kind denn ein Beispiel einfiele, wo Majestät nicht vorbildlichst waren?

Ja. Nennen wir die Ereignisse: D, E und F. (Anm. d. Autors: Erzählungen zufolge war bei E - angeblich - auch der eine oder andere blaue Fleck hinterher zu sehen.)

Wie oft das Kind denn noch gedenke, D, E und F zu erwähnen? Ihro Intelligenzbolzen möchte nämlich auffallen, dass das Kind immer nur dieselben drei Ereignisse erwähnt, wenn es an der Herrschaft Kritik üben muss. Ist das Unnötige denn so von Hass zerfressen, dass es die zwei, drei, vielleicht nicht sooooo glücklichen Momente in der Kindheit ständig erwähnen muss?

Ein anderes Kind, das permanent Enttäuschende, springt ein: Majestät, Majestät, bitte! Hoheit erwähnen doch auch immer nur dieselben Ereignisse, wenn Ihro Drangsaliertheit an den eigenen Eltern Kritik üben.

Darauf weiß Majestät zunächst keine Antwort. Wie man das zu verstehen habe?
Das permanent Enttäuschende antwortet ausführlicher, Majestät nützen den Vortrag meisterhaft zum Sammeln der eigenen, offenbar verlorenen Gedanken. Nachdem das Kind (enttäuschend) ausgesprochen hat, setzen Majestät an: nun, unsere Erlebnisse A, B, C waren von zentraler Bedeutung für das Ausprägen einer psychischen Störung, solche Erlebnisse nimmt man subjektiv war, und subjektiv waren sie die Hölle. Die Ereignisse D, E... und welches nochmal?, hingegen, die waren Lapalien, höchstens charakterstärkend - und, sind wir doch ehrlich: waren Majestät denn nicht doch irgendwie im Recht, damals, bei D und E? Hat's denn wirklich geschadet?

Hofstaat spricht kurz durcheinander, ein Kind (das Unnötige) fährt dazwischen und meint, auf Majestät deutend: aber Hoheit haben doch soeben erwähnt, dass vor allem kindheitliche Ereignisse subjektiv sind und für das Kind waren D, E und F eben auch subjektiv nicht so prickelnd.

Was deutet das Unnötige mit dem Finger auf uns!?? Massivste Beleidigigung! Entsetzlich! Kann schon sein, dass wir uns ab und an im Ton vergreifen, aber eine Beleidigung solchen Ausmaßes! Dass wir das erleben müssen! Es wurde mit dem Finger auf uns gezeigt! Ob sich das jetzt bitte jeder vorstellen möchte, wie entsetzlich das ist, dass hier mit dem Finger auf uns, auf uns!, gezeigt wurde!

Hofstaat verwirrt. Wie bitte? Madame, vorsichtig wie immer: was Majestät denn bitte jetzt haben, ob es wirklich so auf das Kind (unnötig) losgehen müsse?

Das Unnötige sei permanent aufsässig, beleidigt uns in einer Tour, erwähnt immer D, dabei hat das doch nicht einmal geschadet, wir müssen uns doch verteidigen!

Madame, leise und mit atemberaubender Weisheit: Nun, die Sprache der Kinder ist oft nur das Echo ihrer Eltern.

Majestät, verwirrt: wie meinen?

Madame, lauter, immer noch eloquent: So wie Majestät in den Berg des Nachwuchses hineinbrüllen, in eben diesem Tonfall käme das kindliche Echo dann auch zurück.

Majestät, offenbar beeindruckt von soviel Weisheit, lassen sich in den Sessel zurücksinken, falten die Hände zu einer royalen Raute, senken den Kopf und erwidern mit nasaler Stimme, hach, ein feudales Schaudern möchte einem bei so viel zur Schau gestellter Autorität über den Rücken laufen: "Nun, vermutlich war in diesem - meinen - Fall das Echo zuerst da."


Aus der königlichen Pathologie:

Selbstrefelxion: Was da in einem jungen Leben schief laufen muss, dass jemand ein solches Verhalten entwickelt, kann man vermutlich nur erahnen. Allerdings: weiß der Narzisst wirklich, dass er emotional vernachlässigt worden ist? Oder nimmt er sich nur die gesammelten Phrasen von Psychologieliteratur für Laien als willkommenen Anlass, um damit Aufmerksamkeit zu erregen?

Schauspiel: Auch wenn es denkbar schwer fällt, sich die Selbstmitleids-Show eines Narzissten anzuschauen: Man sollte entweder schweigen - oder gehen. Jede Reaktion darauf kann in einem Desaster enden. Eines ist hier aber schon klarzustellen: wenn der Hofstaat schweigt, dauert die Show gnadenlos lange. Der unüberlegte Einwurf hat zumindest die Szenenerie drastisch verändert.

Beleidigungen: Er liebt Beleidigungen fast so sehr wie sich selbst. Und kann dabei nahezu alles als solche auffassen, nur um abzulenken. Rein dialektisch eine Meisterleistung, eigentlich.

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