Frisörbesuch
Ihre
durchlauchtigste Wankelmütigkeit haben unlängst auf Anraten eines
Kindes eine mehrbändige geschichtliche Abhandlung gelesen. Nicht
einfache Kost, muss man zugeben, aber halt unterhaltsam geschrieben und
lehrreich noch dazu, Majestät waren begeistert. Nach dem zweiten Band
stellen Majestät betrübt fest, dass das königliche Hirn einem Sieb
gleicht, es wurden bereits vom ersten Band wesentliche Dinge vergessen.
Majestät löst diese bittere Situation, indem Majestät sich das hehre
Ziel steckt, einige Passagen aus besagten Büchern einfach auswendig zu
lernen: Majestät definierte sich relevante historische Wendepunkte und
paukte tatsächlich Jahreszahlen, adelige Namen und Orte diverser
Schlachten.
Majestät
wenden sich einige Zeit später an das Kind, welches das Werk empfohlen
hatte, mit der Frage, ob es denn wisse, was im Jahre Schnee bei
Stankt-Irgendwo-im-Walde passiert sei. Kind hat keine Ahnung, Jahre
Schnee ist ja auch lange her und das Kind habe den Geschichtsband nicht
auswendig gelernt. Haha! Majestät schon, Majestät wirft mit sämtlichen
Daten und Personen von der Schlacht zu Stankt-Irgendwo-im-Walde um sich,
auf dass das Kind erkenne, wieviel mehr Majestät wissen im Vergleich
zum angeblich so gescheiten Kinde. Kind signalisiert: es ist beeidruckt.
Das war noch nicht genug des Lobes. Wochen später: Frisörbesuch (Madame lässt sich Frisör mangels Freizeit nach Hause kommen). Majestät, so wie ein königlicher Nachwuchs, sind auch zu Hause, über Pfauenzüchtung plaudernd - just in jenem Zimmer, in welchem Madame darauf wartet, dass die Frisörin sich ihrer Mähne annimmt. Frisörin betritt grüßend den Raum, Majestät nickt wohlwollend, um sogleich wieder das Gespräch mit dem Kinde fortzuführen, allerdings mit einem kaum merklichen Themenwechsel: "Apropos Pfauenzüchtung, Kind, wusstest du, was im jahre Schnee..."
Frisörin hat den Raum verlassen, weil Schere vergessen, Kind geht unterdessen leicht verwundert auf die angedeutete Frage ein: "Nein, was war denn im Jahre Schnee?"
Majestät bedeuten zu warten, die Frage komme gleich.
Frisörin betritt abermals den Raum, diesmal mit Schere. Majestät fahren fort: "Kind, wusstest du, was im Jahre Schnee passiert ist? Stell dir vor, da..."
Die
Frisörin, nicht mehr die jüngste, wie's scheint, hat den Haarspray
vergessen und stürmt unter vielen Entschuldigungen wieder hinaus. Madame
schweigt lächelnd.
Kind langsam überfordert: "Was war denn nun im Jahre Schnee? Kommt da noch eine Frage?"
Frisörin
hat nun ihre sieben Sachen beisammen und fängt an, Madame die Haare zu
schneiden. Majestät setzt an zum Vortrag, was im Jahre Schnee bei der
Schlacht zu Stankt-Irgendwo-im-Walde geschehen war und erläutert
sämtliche geopolitischen Konsequenzen - kurz: ein atemberaubendes
Schauspiel bildungsbürgerlicher Kommunikation. Kind ist durchaus
interessiert, aha, wie spannend, schau dir was an. Majestät entlässt das
Kind nach der Lerneinheit in die Freizeit und verlässt ebenfalls den
Raum.
Firsörin - wie unerwartet! - zu Madame, voll Demut und Begeisterung: "Na Ihr Mann, der ist so belesen und gebildet, Sie können sich glücklich schätzen!"
Madame nickt, ja, sie schätzt, zugleich verschweigt sie, dass dies das einzige war, was sich Majestät aus sechs Bänden zu merken vermochte. Mission erfolgreich: Majestät haben einen Bewunderer mehr, Madame kann sich glücklich schätzen und das Kind ist ebenfalls gescheiter.Aus der königlichen Pathologie:
Selbstdarstellung:
König Narziss erwartet Anerkennung und Bewunderung von einem Publikum.
Ist das zu wenig, schafft er sich sogar sein persönliches Stück,
bereitet es penibel vor, passt den Text an das Publikum an. Leider ist
gerade diese der narzisstischen Eigenschaften eine, die äußerst peinlich
wirken kann. Wer nicht Publikum sein möchte, kann ja gehen.