Im Todesfall

Erinnern Sie sich an "Enterbt"? An das Versprechen, welches das Kind dem bitterlich enttäuschten Vater geben musste? Dass es sämtlichen Besitz an den Vater - bzw. dessen neue Frau - zurückzugeben habe, sofern die Mutter in, sagen wir, 5 Jahren stürbe und der Vater dann eine neue Frau an seiner Seite hat? Der Nachsatz blieb in der vorigen Geschichte übrigens unerwähnt: Eine Frau nämlich, die "sein" Haus (das sich Majestät und Gattin seinerzeit gemeinsam erbaut hatten), ganz im Gegensatz zur mißratenen aktuellen Familie, endlich zu schätzen wüsste. Bis zur neuen Frau gedenke Ihre enttäuschte Cholerikheit auch keine Reparaturen am Haus vorzunehmen, weil sich eh keiner dafür interessiere.

Majestät schwelgen offenbar ganz ungeniert in einer Zukunft mit einer neuen Frau, deren wesentliche Eigenschaften, nämlich das zu 50% von ihrer Vorgängerin erbaute Haus zu lieben, zu ehren und gratis überschrieben zu bekommen, schon jetzt abgeklärt sind. Wie es Madame damit geht, überlasse ich ganz der Phantasie des Lesers. Aber ich möchte neutral bleiben - wieso grundsätzlich nicht? Es steht jedem zu, an alle Eventualitäten zu denken, so auch an eine Lebensversion, die ohne aktueller Gattin, vulgo Mutter seiner Kinder und Mitbesitzerin der königlichen Immobilien, ablaufen muss.

Majestät, übrigens selbsterklärter Atheist und angeblich rational in Religionsfragen, erwartet von seinen Untertanen allerdings gänzlich anderes, dem Pöbel stehen ähnliche gedankliche Freiheiten nicht zu. Wie etwa an jenem Tag, als Madame nichtsahnend an ihrem Schreibtisch Organisatorisches erledigte. Keine Panik, es waren nur kleine Geldsummen im Spiel (s. königliche Finanzen). Majestät stellte sich plötzlich neben Madame und unterbrach sie ohne Vorwarnung mit der Frage: "Würdest du dir einen neuen Mann nehmen, wenn ich in ein paar Jahren tot wäre?"

Madame ist perplex. Verständlicherweise! Sie musste zunächst das geistige Programm "Organisatorisches" im Frontallappen herunterfahren, um kurz darauf im limbischen System das Programm "unerwarteter Tod enger Familienmitglieder - Ersatzmaßnahmen" hochzufahren. Majestät stehen leider seit jeher mit der Geduld auf Kriegsfuß und fauchen Madame an, wieso die Antwort so lange dauere.

Madame antwortet stotternd, sie habe sich ehrlicherweise über dieses Thema noch nie Gedanken gemacht, sie möchte ihrem Hirn gerne ein paar Sekunden gönnen, um selbiges nachzuholen. Ihre atheistische und areligiöse Majestät nehmen die Antwort aber vorweg: Nun, Madame werden sich doch bitte keinen neuen Mann nehmen nach Majestäts beklagenswertem Tod! Schon gar in dieses Haus, oder? Das könne Majestät nicht verkraften.

Madame muss nun nicht nur das limbische Programm durchlaufen lassen, sondern parallel auch noch die Aussage Ihrer Majestät bearbeiten. Aber, Multi-Tasking ist ihr zweiter Vorname, sie antwortet: Selbst wenn sie die Frage "Neuer Mann ja/nein" - nach der vermutlich unerwarteten Situation "aktueller Gatte tot, daraus folgt alleinerziehende Mutter" - mit sich selbst geklärt hätte, wäre die Fragestellung "neuer Mann: ja, daraus folgt: in diesem Haus zusammenwohnen" doch wirklich zu weit weg von allem Vorstellbaren, auf diese Frage hätte sie jetzt keine Antwort parat.

Wut. Geschrei. Gezeter. Wie kann es Madame überhaupt wagen, darüber nachzudenken, ob sie sich einen neuen Mann nehme? Natürlich werde Madame keinen neuen Mann nehmen! Darüber könne sie nicht einmal eine Sekunde nachdenken! Das müsse sofort kommen! Und dass der neue Mann dann in dieses Haus ziehe, sei nicht einmal anzudeuten! Majestät erwarten, dass Madame nie wieder darüber nachdenkt. Das Thema ist sowieso ab jetzt tabu. Abgang Ihrer furiosen Durchlaucht.

Gut. Madame muss gestehen, dass Majestät durch diese Aktion tatsächlich (zumindest für einige Zeit) verhindert hat, dass Madame sich einen neuen Mann hält. Aber nicht, weil sie Ihre zukünftig verstorbene Majestät im Himmel nicht kränken wollte, sondern weil die Wahrscheinlichkeit, wieder an einen Narzissten als Partner zu geraten, bei aller Winzigkeit immer noch zu hoch ist, um sich nochmal mit einem menschlichen Wesen einzulassen.

Aus der königlichen Pathologie:


Eifersucht: Nicht einmal im Anlassfall, sondern gleich präventiv, damit Majestät nur ja bis über den Tod hinaus einzigartig bleibe! Vielleicht hätte eine kleine Lüge ("Du, und immer nur du") genügt?

Mehrere Realitäten: Einerseits von sich zu behaupten, man wäre Atheist, andererseits mit Szenarien nach dem eigenen Tod zu spielen, geht sich nicht ganz aus. Ein Hinweis auf Inkonsistenzen im Weltbild wäre verlorene Liebesmüh, weil, wie praktsich, jederzeit eine neue Realität aus dem verbalen Hut gezaubert werden kann...
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