Königliche Trauer

Ein ausnahmsweise ernst zu nehmender Zwischenfall haben Majestät etwas aus der Bahn geworfen, da - in verhältnismäßig jungem Alter - ein Jugendfreund an einer schweren Krankheit gestorben ist. Der Hofstaat ist dieser Tage rücksichtsvoller denn je, sofern das überhaupt möglich ist, lässt mehr Beleidigungen und Demütigungen als sonst unkommentiert über sich ergehen und fragt Majestät regelmäßig nach ihrem Wohlbefinden. Keine Frage, schwere Zeit, Majestät sichtlich mitgenommen.

Nach den Trauerfeierlichkeiten trifft sich die ganze ehemalige Jugendclique nebst Anhang zusammen, drei Männer mittleren Alters, ihre Ehefrauen und die Witwe des Verstorbenen, theoretisch, um die Umstände des ziemlich unerwarteten Todes von der Witwe in Ruhe erzählt zu bekommen und um in Erinnerungen an den lieben Freund zu schwelgen.

Majestät eröffnen das Gespräch, die Stimmung ist ja doch etwas bedrückend, also beginnen Ihro trauende Durchlaucht sie Schwänke aus ihrem Leben im Hobbyverein zu erzählen. In den ersten Minuten als willkommenes Brechen der klammen Stille dankbar von der schweigenden Gruppe um den Tisch aufgenommen, verlieren sich Hoheit dann in weiteren Geschichten über den Verein, gewürzt mit den besonders zu hervorhebenden Leistungen von Majestät im speziellen, sowie mit der generellen Exklusivität des Vereins im allgemeinen.

Nach einer halben Stunde Monolog tupft Madame dann ganz sanft Majestät an, ein verstohlener Hinweis, dass die Vereinsgeschichten mitunter auch später dem begierig lauschenden Publikum vorgetragen werden können, das bestimmt sehnlichst auf diese Anekdoten gewartet hat. Majestät belieben den Stupser nicht wahrzunehmen, Durchlaucht sind mitten in einer Geschichte über den unfähigen Kassier des Vereins und reden sich in Rage. Die Witwe bemüht sich immer wieder in einer der wenigen Pausen, wo Majestät Luft holen muss: also das mit ihrem Mann sei so gewesen... Die schweigende Versammlung dreht sich zur Witwe, ein gesellschaftlich durchaus übliches Signal, sämtlichen potentiellen Redner mitzuteilen, dass sie zu schweigen haben. Majestät unterbrechen aber sofort: Eins noch! Ah ja! Und! Das haben Majestät vergessen zu erwähnen! Der Obmann des Vereins sei nämlich auch nicht ganz so fähig, wie das der interessierte Laie (und das sind grundsätzlich alle Menschen in Majestäts Umgebung: weniger gescheit, talentiert und wissend, aber immer höchst interessiert an den königlichen Aktivitäten) glauben möchte!

Das ganze Theater dauert dann noch eine knappe Stunde, irgendwann, nach der zehnten Wiederholung jeder Anekdote, schweigen dann Ihro Geschwätzigkeit, vermutlich weil wir heiser sind, und die Witwe kann endlich ihre tragische Geschichte erzählen. Madame merkt zwar, dass Majestät recht unentspannt und nervös sind, während die arme Frau die völlige Aufmerksamkeit des Tisches hat, aber immerhin belieben Hoheit , wie sie sich selbst gegenüber den Kindern ausdrücken würde: den Schlapfen zu halten.

Wieder zu Hause fragen die Kinder, wie denn die Trauerrunde mit den Jugendfreunden gewesen seien.

Sehr sinnvoll und schön, antworten Hoheit, nur leider seien die Jugendfreunde offenbar alle kreuzfade Menschen geworden, da Majestät die ganze Truppe unterhalten musste, damit wenigstens über irgend etwas geredet werden konnte.


Aus der königlichen Pathologie:

Emotionale Leere: Auch wenn davon auszugehen ist, dass der Narzisst nur wenig Emotionen hat, so ist er mit dem Aufkommen eines intensiven Gefühls sicherlich überfordert. Der Narzisst muss sich dann in eine seiner antrainierten Wohlfühlszenarien zurückziehen, in diesem Fall also permanentes Reden von sich selbst. Keine Sorge: das hält nicht lange an.

Selbsteinschätzung: Der Narzisst ist im philosophischen Sinne der absolut perfekte Konstruktivist: die Welt ist nicht etwas Existierendes, das man studieren oder beobachten kann (und möchte), die Realität ist eine wabernde Masse ohne Vergangenheit und Zukunft, die mit jedem Satz neu umgestaltet werden kann. Und so wird aus trauernden Menschen, die gerne der Witwe lauschen möchten, eine Horde langweiliger Idioten, die Majestäts stimmungsvolle Geschichten brauchen, um einen Lichtblick in ihrem Leben zu haben. Bleibt für alle werdenden Narzissten zu hoffen, dass es einen Beruf gibt, wo genau das eine sinnvolle Eigenschaft ist.

Erstellen Sie Ihre Webseite gratis! Diese Website wurde mit Webnode erstellt. Erstellen Sie Ihre eigene Seite noch heute kostenfrei! Los geht´s