Selbsterkenntnis Teil 1: Erschreckend!
Eins der misslungenen Kinder beschließt einen Kontaktabbruch. Es lässt in relativ knappen Worten Majestät per Brief wissen: der letzte Wutanfall Ihrer durchlauchtigsten Unbeherrschtheit war der eine zu viel, das war die letzte Demütigung, baba, es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut.
Gut, man muss dabei fairerweise anmerken: Der Narzissmus ist ja in den letzten Jahren durchaus salonfähig geworden, in sämtlichen Medien werden Ferndiagnosen an Präsidenten, Mördern und ganzen Gesellschaften gestellt, um das Wort kommt man ja nicht mehr herum. So auch nicht das eine Kind. Es liest darüber, informiert Hoftstaat nebst Madame über seine Erkenntnisse und weiß daher auch: Heilung, Hoffnung oder bessere Zeiten, alles vergebens, es gibt kein Entrinnen, außer man entrinnt selbst.
Majestät
belieben die nächsten Tage über den Verlust des Kindes zu grübeln,
wobei Grübeln eher Murmeln heißt, das königliche Murmeln im Besonderen
eher von penetranter Natur ist und daher eine ständige Lärmbelästigung
im Alltag von Madame darstellt. Dieser platzt dann irgendwann der
Kragen. Sie knallt Majestät ein Buch über Narzissmus hin und erklärt,
was der eigentliche Grund für den Kontaktabbruch des Kindes ist, nämlich
der, dass der Hofstaat keine Möglichkeit hat, dem majestätischen
Wahnsinn, für den es jetzt ein neues Modewort gibt, zu entfliehen -
außer durch Kontaktabbruch.
Majestät lesen demütig das Buch, welches
mit der relativ simplen Conclusio schließt: der Narzisst vermag nur dann
auf den Weg der Besserung gebracht werden, wenn er über sich selbst
erschrickt.
Majestät präsentieren, immer noch demütig, das
fertiggelesene Buch und übergeben es Madame mit dem geseufzten
Kommentar: Es. Ist. Erschreckend.
Ihre
demütige Hoheit sind die nächsten Wochen ruhig und besonnen, Madame und
der - nach wie vor um ein Kind reduzierte - Hofstaat genießen die
Idylle, man überredet das verlorene Kind schließlich wieder, in den
erlauchten Kreis der Familie zurückzukehren.
Kind wagt ein gemeinsames Treffen.
Man
spricht zuerst über Belangloses, Majestät reißen sich offensichtlich
zusammen, dann endlich kann Majestät das Thema wechseln. Hoheit sprechen
das verlorene Kind an. Majestät tut alles leid, Majestät habe erkannt,
welch erschreckende Krankheit Majestät hatten. Man müsse sich das
vorstellen: Majestät hatten eine furchtbare Kindheit, hatten seitdem die
Befürchtung, diese nicht unbeschadet überstanden zu haben, quälen sich
jahrelang mit der Definition einer Krankheit und nun haben Majestät
erkennen müssen, dass Majestät nicht nur krank, sondern unheilbar krank
seien. Jeden Tag übe sich Majestät in Erkenntnis und Selbsttherapie,
Majestät ginge es zwar irgendwie besser, aber auch schlechter dadurch,
denn das sei harte Arbeit, Majestät müsse viel Aufwand betreiben, um
nicht wieder in alte Muster zu verfallen.
Kind fragt, ob Majestät denn wisse, wieso eigentlich ein Kontaktabbruch stattgefunden habe.
Majestät sind konsterniert. Natürlich wisse Majestät das.
Na und, wieso?
Na weil Majestät und Kind gestritten haben vor einigen Monaten. Gut, Kind hat gestichelt, aber Majestät wisse jetzt, dass Majestät übertrieben haben. Und jetzt, wo Majestät dank Buch über sich selbst erschrocken und daher geheilt sind, kann so etwas ja nicht mehr vorkommen.