Selbsterkenntnis Teil 2: Alle sind Narzissten!
Jetzt, wo Majestät am Weg der Heilung sind, belieben sich Durchlaucht mit psychologischer Literatur zu befassen. Madame spielt hierbei eine nicht unwesentliche Rolle, da sie sehr zuversichtlich bezüglich einer royalen Genesung ist (nun endlich hat er erkannt, worum's geht, so hat er's noch nie verstanden, jetzt ändert sich wirklich alles) und daher nicht müde wird, Hoheit mit den Bestsellern der Psychologieabteilung sämtlicher Buchgeschäfte zu versorgen.
Dank dem Modethema
gibt es ja mittlerweile stapelweise Literatur über Narzissmus - da aber
generell Werke über allerlei psychische Störungen und Auffälligkeiten
boomen, haben Hoheit auch ein Buch in die Finger gelegt bekommen, wo
gleich über diverse Klassen von Halbwahnsinnigen ein Überblick geboten
wird. Und siehe da: Majestät möchten in den Beschreibungen weniger einen
Narzissten, sondern doch viel mehr etwas anderes erkennen, die
Beschreibungen im Kapitel "Narzissmus" passen nämlich so gar nicht auf
Hoheit. Denn bitte schön wann hätten Ihro Selbsterkennis denn jemals
jemand anderen auch nur ansatzweise beleidigt oder gedemütigt,
geschweige denn Leid zugefügt? Ja, gut, die paar Ausrutscher
gewalttätiger Natur waren eine Folge unserer tragischen Kindheit und man
bedenke bitte, wir werden aufgrund unserer Andersartigkeit permanent
gepiesackt, vor allem von der Familie, diesem fiesen Pack, aber ganz
eindeutig können wir kein Narzisst sein!
Wir ersparen uns jetzt Details und Wortklauberein, fassen wir
die von Hoheit erstrebenswerte Geisteskrankheit unter dem Terminus
"Depressionist" zusammen. Das sind Hoheit ganz eindeutig, Majestät
belieben Madame passagenweise aus dem Kapitel "Depressionist"
vorzulesen, garniert mit Hinweisen, dass wir uns darin zu erkennen
wünschen. Wir können das Wort Narzisst schon gar nicht mehr hören! Wo
wir doch so eindeutig ein Depressionist sind!
Madame ist ganz verzückt von der Selbsterkenntis ihres Gatten,
jaja, er ist ein Depressionist. Auch eine schlimme Krankheit, keine
Frage, aber wie schön, dass er endlich einen Zugang zu seinem inneren
Kind gefunden hat, zu seiner wahren Erkrankung. Madame erzählt das ganz
verträumt den Kindern, schwärmt von der neuen Diagnose und gibt ihnen
besagtes Buch zu lesen.
Die wiederum sind basserstaunt. Ja, das Buch beschreibt recht
eindrucksvoll, wie Depressionisten so ticken, aber das hat nicht einmal
ansatzweise etwas mit der Persönlichkeit des Vaters zu tun. Der neigt
nämlich zu atemberaubender Eitelkeit, permanenter Gekränktheit,
unkontrollierten Wutausbrüchen, (hauptsächlich) verbaler Gewalt und
regelmäßiger Demütigung seiner Untergebenen (zu finden im Kapitel
"Narzissmus"), während der Depressionist sich eher durch Angstzustände,
übertriebene Ordnung und Melancholie auszeichnet.
Madame kontert geschickt: abgesehen von seiner Ordentlichkeit bedenke
man bitte, dass der liebe Vater doch eigentlich, irgendwie, in einem
Angstzustand ist, wenn er einen Wutanfall hat oder gekränkt ist! Und
dieses Verhalten wiederum ist das Ergebnis von bedrückender Melancholie,
die Kinder wissen doch um die tragische königliche Kindheit! Was wir
als Narzissmus fehlinterpretiert haben, ist ganz eindeutig eine
Konsequenz besagter Kindheit und damit ist der arme Mann ein
Depressionist.
Die Kinder versuchen es mit Nachfragen, rufen Madame diverse
Eskapaden in Erinnerung, aber es hilft nichts, Madame bleibt stur, sie
begleitet ihren Gatten mit Hingabe durch den Heilungsprozess irgendeiner
Geisteskrankheit. Ist ja auch eine nette Beschfätigung. Aber! Jetzt, wo
Madame weiß, dass es diese Persönlichkeitsstörung gibt, ihr ahnt ja gar
nicht, wer aller davon betroffen ist! Unlängst durfte sie beobachten,
wie sich der Gatte einer Freundin ziiiiemlich egoistisch verhalten hat.
Ganz klar: der Mann ist ein Narzisst. Oder der andere Bekannte, ich sage
euch, der hat seine Frau beleidigt. Ganz offensichtlich ist diese
Generation von Narzissten durchsetzt! Besagte Personen sind zwar nicht
ständig gekränkt, naja, und streng genommen gibt's auch keine
Gewaltausbrüche, und sie reden auch nicht ständig über sich selbst, und
nein, eigentlich haben sie auch keinen anderen Charakter vorgespielt,
aber dieser Egoismus! Ganz eindeutig: alle sind Narzissten. Nur
Majestät, das muss man schon sagen, Majestät als Depressionist gehen
ganz ausgezeichnet mit ihrer Krankheit um, da können sich die anderen
ein Scheibchen abschneiden!
Und was war das unlängst, als Majestät beim Dinner mit Freunden die illustre Runde wissen hat lassen, dass Madame nicht nur überaus hässlich, sondern auch noch dämlich, überzogen und unfähig ist? Nun, Hoheit sind ja erst am Weg der Genesung. Das dauert halt noch. Wichtig ist, dass er sich mit sich selbst beschäftigt.
Aus der königlichen Pathologie:
Co-Narisst. Auch spannend. Der kann die Krankheit offenbar genauso schwer begreifen wie der Narzisst. Die beiden leben ja in einer perfekten Symbiose: der eine braucht einen leicht zu manipulierenden Punching Ball mit atemberaubender Geduld und Hingabe, der andere definiert sich über die aufopfernde Hingabe an eine im Herzen tief verletzte Person, wenn ihn dafür nur ab und an ein Strahl vom glorreichen königlichen Glanz treffen möge. Und so kann der erste dem zweiten alles einreden und der zweite wird den ersten immer beschützen - sogar vor sich selbst. Unglaublich stabil.