Therapie gefällig?
Wir
befinden uns auf einem Fest am königlichen Hofe, Majestät sind
entspannt, in Plauderlaune, keine Kränkung in Sicht, der Hofstaat ist
fast verwundert über die gute Stimmung.
Dann,
kurz vor Ende des Festes. Der Hofstaat rollt gähnend Richtung Bett, so
auch eins der Kinder, welches ebenfalls den Raum verlassen möchte, in
welchem nur noch Majestät höchst selbst anwesend ist. Majestät zieht das
Kind zurück, ein charmantes Lächeln auf den Lippen: mein liebes Kind,
kurz unter vier Augen. Der Rest des Hofstaats dreht sich noch verwundert
um, sieht das Lächeln - kein Donnerwetter zu erwarten, gute Nacht,
jaja, das Kind kommt eh gleich, nur noch ein Satz.
Der
Satz wird ein Feuerwerk, ein Monolog, ein Fiakso, ein Krieg. Ungeachtet
der Uhrzeit, Majestät hüpft, springt und schreit herum, Majestät sind
enttäuscht vom Kinde, Majestät wollte sich umbringen. Da oben! (Wo? Da
ist nichts!) Da wollte sich Majestät aufhängen wegen dem kränkenden
Kinde.
Welche Kränkung?
Könne sich das Kind nicht erinnern, es habe einmal gesagt, dass Majestät als Vater alles falsch gemacht habe.
Kind grübelt. Dann, endlich, ein Licht geht auf, da war ja mal ein Gespräch. Nein, Kind habe das seiner Erinnerung nach so
nicht gesagt, eher das Gegenteil, nämlich dass das Kind trotz
königlicher Fehler Zuneigung für das Rumpelstielzchen empfinde. Majestät
hat offenbar aus einem bestimmten Satz des Kindes einzelne Wörter
herauspickt, in einen Topf geworfen, eine Prise Hass, ein, zwei
Esslöffel Geltungsdrang, sowie eine große Portion Kränkungssucht
beigemischt, ein paar Wochen ziehen lassen und nun einen Satz serviert,
der zwar die gleichen Wörter wie der ursprüngliche enthielt, der
allerdings nun wirklich beleidigend klingt.
Das
Kind will weglaufen, weil die Heftigkeit, mit der das königliche
Rumpelstielzchen hüpfenderweise den Boden malträdiert, langsam ein wenig
Angst einflößt. Majestät hält das Kind fest, beschimpft es wüst, Kind
bemüht sich um beruhigende Worte, entfleucht schließlich ins
Schlafgemach, während Majestät die Toilette beehrt.
Am
nächsten Tag, das Kind etwas durch den Wind, schildert dem Hofstaat die
Ereignisse der vergangenen Nacht. Majestät hört das, schaut ein
bisschen wie ein Maikäfer, wenn es blitzt. Madame fragt den König, was
er denn bitte für ein Problem mit dem Kinde habe? Kind plärrt, aus der
Apathie gerissen, verletzt und wütend, schreit zurück, schimpft,
erklärt, dass Majestät wahnsinnig seien, erinnert an das Herumgehüpfe
und die Selbstmordversprechen.
Majestät, unschuldigst: welches Herumgehüpfe? Majestät sind nicht gehüpft.
Kind ahmt Majestät nach. Kind zitiert die gestrige Nacht.
Majestät noch entsetzter. Also bitte. Das Kind sei ja wahnsinnig. So vom Vater zu reden! Ob der Hofstaat nicht einsehe, wie verrückt das Kind ist! Und der Tonfall, mit dem das Kind jetzt rede! Kann schon sein, dass Majestät geschimpft haben, aber mit dem Tonfall, mit dem mache das Kind alles wieder wett, der sei ja schlimmer als alle Schimpfwörter aus dem königlichen Munde zusammen. Majestät wenden sich an Madame. Das Kind sei eine Zumutung für die Dynastie. Das sei der Beweis. So wie es mit dem Vater rede, das sei ja direkt peinlich. Majestät befinden, dass das Kind langsam alt genug sei, endlich eine Therapie zu machen, in welcher es lerne, dass man so mit dem eigenen Vater nicht rede.
Kind hat eine Therapie gemacht. Allerdings aus anderen Gründen.Aus der königlichen Pathologie:
Mehrere Realitäten: wenn Majestät es will, dann werden Worte umgedreht, Sätze umgestellt, eine ganze Aussage ins Gegenteil gewandelt. Videobeweis würde helfen, aber es ist zu bezweifeln, ob die Kamera den Anfall heil übersteht.
Mißbrauch von Familienmitgliedern: wir sind auf Entzug, wir brauchen mal wieder eine Entschuldigung, um uns gut zu fühlen. Also suchen wir uns ein Opfer und quälen es. Natürlich unter Ausschluss von Zeugen. Immer. Geht aber nur gut, solange der Hofstaat nicht miteinander redet.
Täter-Opfer-Umkehr: Nicht jemand, der kreischend mit Selbstmord droht, braucht eine Therapie, natürlich nicht. Die anderen schon. Das sollten sie allerdings auch wirklich tun.