Verlassen!

Der Hofstaat hat sich in letzter Zeit ein wenig zurückgezogen. Unangekündigt und schleichend, aber Majestät fallen langsam auf: bei kulturellen Unternehmungen werden Hoheit nicht um Teilnahme gebeten, Einladungen aus der königlichen Residenz werden höflich ausgeschlagen, Anrufe oder Emails werden immer weniger. Hofstaat-intern nämlich lauert eine Verschwörung: man ist sich einig, dass die Wutanfälle, Beschimpfungen und Demütigungen in den letzten Monaten gar ein bisserl viel waren, das Thema ansprechen wäre aber verlorene Liebesmüh (ein dreifaches Hiphip Hurra auf diese Einsicht), dem aussetzen will man sich aber auch nicht ständig - ergo: man zieht sich zurück.


Völlig überraschend reagieren Majestät mit Kränkung und fühlen sich daher bemüßigt, die Familie, im Speziellen: die Kinder, vor Freunden oder Bekannten zu denunzieren. Ein befreundetes Paar etwa erzählt gut gelaunt vom eigenen Kinde, dass da zufällig das letzte Wochenende zu Besuch war, hach wie nett, der Bub ist ein ganz ein Lieber!

Nicht so der königliche Nachwuchs. Liebe Freunde, ihr müsst euch vorstellen: L-a-u-t-e-r Kanaillen! Kommen nie zu Besuch, und wenn, dann artet das immer in einem Fiasko, einer Schreierei und einem Gezeter aus.

Madame fragt nach: Ob das an Majestät liegen könne? Vielleicht mögen die Kinder die Beschimpfungen nicht so, selbst wenn sie aus königlichem Munde stammen.

Bestimmt nicht! Majestät beschimpfe ja nicht aus Jux und Tollerei, Ihro lammfromme Durchlaucht werde dazu getrieben vom undankbaren Pack. Liebe Freunde, wisset: man reize uns permanent! Es sei hiermit festzuhalten: Der Nachwuchs ist verdorben, außerdem kommt er nie zu Besuch und wenn, dann reizt er Majestät zum Zorne. Wie gerne hätten wir doch euren lieben Bub! Der bringt sogar immer eine Flasche Wein mit! Wie nobel!

(Anm.: Auch die eigenen Kinder bringen immer etwas mit, es war nur zufälligerweise die letzten Male keine Flasche Wein. Diese wäre aber in der jetzigen Phase als Mitbringsel ideal, ergo wurde immer das Falsche mitgebracht, q.e.d.: verdorbener Nachwuchs.)


Eine Woche später. Majestät erhalten eine Einladung für ein nettes Dinner bei Freunden für einen Samstag, sagen wir: der elfte. Majestät sagen freudigst zu und lassen Madame wissen: am elften sind wir bei den Freunden zum Dinner!
Madame ist kurz verwirrt. Sie schaut aber zur Sicherheit im Kalender nach. (Ein Irrtum führt unweigerlich zu einem Tobsuchtsanfall, deshalb immer: nachschauen, überprüfen, vorsichtig sein!) Doch doch: Hoheit, da wollten doch die Kinder kommen! Der Nachwuchs, der verdorbene, wollte uns besuchen und man hat sich - in Absprache mit Majestät - auf den elften geeinigt. Damals. Als Majestät gejammert haben, wir fühlen uns so verlassen von den selten vorbeikommenden, verdorbenen Kindern.

Achso. Na das ist blöd. Das Dinner verspräche doch lustig zu werden. Naja, dann müssen Majestät halt das Dinner absagen. Schweren Herzens. Äußerst Schade.

Aber andererseits: wie passend! Majestät können dann gleich der verdorbenen Brut erklären, dass a) die fehlenden Mitbringsel Majestätsbeleidigung und b) die Streitigkeiten im Besuchsfalle grundsätzlich ihre Schuld sind. Majestät werden daher in Zukunft nur noch eine Falsche Wein für das gemeinsame Abendessen aus dem k.u.k. Weinkeller zur Verfügung stellen und Madame dazu anhalten, die Anzahl der zu servierenden Gänge auf maximal zwei zu beschränken, jegliche weitere Verköstigung wäre dann selbst mitzubringen. Majestät machen sich gleich eifrig an die Fertigung eines Dokuments, wir gedenken das nämlich schriftlich festzuhalten (wofür?) und bauen sogar ein Kasterl ein, in dem dann alle unterschreiben dürfen.

Madame, der Edward Snowden des Hofes, hat dann übrigens dem Nachwuchs von der geplanten Belehrung incl. notariell zu beglaubigendem Vertrag erzählt, worauf die Kinder plötzlich was am Herd stehen hatten und ihrerseits leider, leider absagen mussten.
Win-win für alle: die Kinder konnten nichts Falsches mitbringen, ihnen ist ein Plädoyer (samt Vertragsunterzeichnung) über ihre Unfähigkeit erspart geblieben, Majestät durfte sich am Dinner laben und währenddessen sogar - seelisch sehr befreiend - über die verdorbenen, niemals zu Besuch kommenden, aber ständig absagenden Kinder schimpfen. Harmonie pur!


Aus der königlichen Pathologie:

Selbsttäuschung: der König kann nicht bemerken, dass er an familiären Eskalationen zumindest eine Mitschuld trägt. Es sind grundsätzlich die anderen schlecht, und wenn er dann doch eigenes Fehlverhalten eingestehen muss, dann haben ihn die anderen dazu getrieben. Das ist aber auch schon das ganze Ausmaß des Bezugs, den er zu anderen (Lebewesen) hat.


Umgang mit Zurückweisung: Wenn der Hofstaat sich zurückzieht, ist das ja irgendwie eine Zurückweisung. Die geht dem König ausgesprochen nahe, die natürliche Reaktion ist Wut - ähnlich einem Kleinkind, dem man Spielzeug wegnimmt (und ob die Familie nicht auch irgendwie ein Spielzeug für ihn ist?).
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